Alle großen Jungs aus Europa, die den Ball weit schlagen können, finden früher oder später den Weg zu Lee Cox’ Talentschmiede im The Shire Golf Club am Stadtrand von London. Joe Miller, Mike Gays und Martin Borgmeier machte er zu Weltmeistern. Doch auch European Tour-Spieler, die nach dem Abschlag stets als erste dran waren, suchten schon Hilfe beim Long Drive-Guru und katapultierten sich dank Cox in der Driving Distance Statistik nach oben. Und Lee Cox, dem man vor 15 Jahren irrtümlich prophezeite, kein Europäer könne jemals die von Amerikanern und Kanadiern dominierte Long Drive-Szene aufmischen, hat schon den nächsten Weltmeister im Visier.
Herr Cox, Sie sind Golflehrer. Haben Sie einen Schwunggedanken, wenn Sie selbst am Abschlag stehen?
Einen? Ungefähr eine Million!
Wie wird man Long Drive Coach?
Vor circa 20 Jahren kam Joe Millers Vater zu mir und bat mich, seinen Sohn in Long Drive zu unterrichten. Ich war zu der Zeit recht bekannt als Golftrainer, wusste jedoch nicht viel über Long Drive. Damals begann die Reise, und heute lerne ich immer noch jeden Tag dazu.
In Europa war Long Drive zu der Zeit nicht sehr populär. Wie haben Sie sich das notwendige Wissen angeeignet für die Arbeit mit Joe Miller?
Ich studierte unzählige Schwungaufnahmen von Longdrivern. In Großbritannien und Europa unterrichtete damals niemand Long Drive. Ich kontaktierte Experten auf der ganzen Welt, versuchte so viele Fachleute wie möglich zu erreichen und mein Wissen in vielen Bereichen zu erweitern. Heute stehen über 100 Long Drive-Siege auf meinem Konto als Coach.
Long Drive wird seit seinen Anfängen in den 70er Jahren in den USA von Amerikanern und Kanadiern dominiert. Ihr Schüler Joe Miller wurde als erster Europäer zweifacher Weltmeister. Letztes Jahr gewann Martin Borgmeier aus Deutschland, ebenfalls ihr Schüler, den Titel.
Martin kam 2018 zu mir. Ein Jahr später war er ziemlich gut, doch dann kam Covid und machte es für alle sehr schwer. Im letzten Jahr wurde Martin dann Weltmeister.
Es scheint, als seien Sie eine Art Hauptquartier und Talentschmiede für europäische Elite-Longdriver. Wer wird der nächste Superstar? Trainieren Sie bereits einen potentiellen Champion, von dem wir noch nichts wissen?
Ich arbeite mit Seb Twaddell, einem 21-jährigen Australier. Er hat großartige Fähigkeiten, ist sehr nahe dran am Ballgeschwindigkeitsrekord. Das einzige, was ihm zur Zeit fehlt, ist Erfahrung, und die ist nicht so einfach zu bekommen. World Long Drive-Events finden ausschließlich in Amerika statt, und es gibt nur ein Major. Es ist nicht wie beim Golf oder Tennis, wo es vier Majors gibt. Dieses Jahr traue ich ihm eine Top-8-Platzierung zu, nächstes Jahr kann er um den Sieg mitspielen.
Was braucht man, um Longdriver zu werden? Wird man schnell geboren, oder kann man den Ball durch gezieltes Training so weit schlagen?
Die meisten Longdriver sind sehr groß und kommen von anderen Sportarten wie zum Beispiel Baseball oder Eis- hockey. Sie bringen alle schon viel Geschwindigkeit mit und haben davon mehr als andere.
Jeder Mensch hat also sein individuelles Limit?
Ja, natürlich. Jemand, der mit 90 Meilen Schlägerkopfgeschwindigkeit startet, wird kein Long Drive-Champion werden. Man muss sich realistische Ziele setzen. Zu mir kommen Hobbygolfer und sagen, sie möchten 150 Meilen pro Stunde schwingen. Das ist in etwa so, als ich würde ich sagen, ich möchte 100 Meter in unter 10 Sekunden laufen. Das werde ich niemals schaffen. Es gibt für jeden eine persönliche Grenze, aber auch fast jeder schwingt unterhalb dieser Grenze. Ich kann einen Golfer an sein Limit heranführen. Longdriver starten nur auf einem viel höheren Niveau.
Muss man als Longdriver einen guten Golfschwung haben? Viele Leute denken, Long Drive-Athleten können kein Golf spielen, sondern nur weit schlagen.
Die Leute haben keine Ahnung, wie schwierig dieser Sport ist. Man hat einen Driver mit sehr wenig Loft. Man versucht, 400 Yards weit zu schlagen und muss einen schmalen Korridor treffen. Man darf den Ball nicht mehr als ein bis zwei Dimples außerhalb der Mitte treffen. Und man hat nur sechs Versuche in einer vorgegebenen Zeit. Das erfordert sehr viel Können. Ja, man muss einen sehr guten Golfschwung haben.
Simply Golf 1 2023: Lee Cox im Interview
Das US Masters & das Thema „LIV GOLF“ – ein Major unter Beobachtung. Die PGA Show & ihr gelungenes Comeback. Madeira, Kärnten, Südafrika – Reiseziele mit dem gewissen etwas. Schäfte: Alles rund um den „Motor“ des Golfschlägers. Plus: Chiara Nora – das deutsche Top-Talent… SimplyGOLF: 18 tolle Stories! Auch das Interview mit Lee Cox!
Im Profigolf ist es enorm wichtig geworden, den Ball weit schlagen zu können. Arbeiten Sie mit Tourspielern der großen Touren zusammen?
Ich habe unter anderem mit Francesco Molinari und seinem Coach Denis Pugh gearbeitet. Molinari war sehr kurz vom Abschlag, und wir schafften es, seine Drivelänge bis auf etwas über Tourdurchschnitt zu bringen. Er hatte daraufhin eine großartige Saison, in der er sehr gut spielte und sehr erfolgreich war. Molinaris Schwungveränderung ist nicht so bekannt wie Bryson DeChambeaus Transformation. Das mag daran liegen, dass Molinari nicht der Schnellste war und auf einem für Tourverhältnisse sehr niedrigen Niveau angefangen hat. Doch er hat es geschafft, schneller als der Tourdurchschnitt zu schwingen, und seine Verbesserung ist ähnlich hoch zu bewerten wie die von Bryson.
„Drive for Show – Putt for Dough“ – ein Spruch, den viele Hobbygolfer immer noch gerne zitieren. Was fällt Lee Cox dazu ein?
Mark Brodie hat in seinem Buch „Every Shot Counts“ mit Statistiken bewiesen, dass ein langer Abschlag ebenso wichtig ist wie ein guter Putt. Das Buch erschien 2014 und Tourspieler und Spitzenamateure sind sich heute der Wichtigkeit von Geschwindigkeit und Länge bewusst. Früher wurde Long Drive als eine Art Freakshow gesehen, die mit normalem Golf nichts zu tun hat, was absolut nicht stimmt. Heute gibt es mehr und mehr Spieler unter den Profis, die auf die Longdriver schauen, um zu lernen, wie sie selbst ein bisschen länger werden können.
Gibt es auch für Wochenendgolfer*innen eine Möglichkeit, mehr Länge zu bekommen, ohne täglich hunderte Golfbälle zu schlagen und fünf Mal die Woche ins Fitnessstudio zu gehen?
Die meisten Amateure haben zu wenig Länge, weil sie keine optimale Ballgeschwindigkeit generieren können und dem Ball nicht den richtigen Spin mitgeben. Viele Spieler, die zu mir kommen, möchten mehr Schlägerkopfgeschwindigkeit haben, doch es ist meistens die Ballgeschwindigkeit, die sie verbessern müssen.
Man muss also die vorhandene Schlägerkopfgeschwindigkeit besser nutzen, um die bestmögliche Ballgeschwindigkeit zu generieren. Dadurch erzielt man mehr Länge? Richtig. Wenn jemand zu mir kommt, egal ob Amateur oder Longdriver, analysiere ich immer zunächst nach dem gleichen Schema: Ich messe die Schlägerkopfgeschwindigkeit, die Ballgeschwindigkeit und ich überprüfe die Launch-Bedingungen. Wenn man den Ball nicht richtig trifft, schlechte Launch-Bedingungen oder schlechte Spinwerte hat, muss man daran arbeiten. Dann kann man mit der vorhanden Schwunggeschwindigkeit mehr Weite erzielen.
Es ist demnach zunächst wichtig, zu schauen, wie der Schläger an den Ball kommt?
Ja, das ist das Einfachste, was die normalen Golfer verbessern können. Ich schaue nach tiefhängenden Früchten. Ich finde heraus, was ihr größter Schwachpunkt ist und versuche, mit ihnen die einfachsten Dinge zu ändern. Das muss immer angepasst sein an das, was der Körper der Person zulässt, was sie mental wollen und wieviel Zeit und auch Geld sie investieren möchten. Es ist wie eine Art Puzzle.
Sie trainieren Golfer aller Spielklassen. Wenn jemand zu Ihnen kommt und mit Ihnen Chippen üben möchte, freuen Sie sich dann über Abwechslung, oder ist das gar nicht Ihr Ding?
Es gibt eine Geschichte dazu. Ich war ein recht guter Spieler, ein Playing Professional, ein Turnierspieler. Doch ich bekam „Chipping Yips“. Es gibt Putting Yips, aber es gibt auch Chipping Yips. Ich war Anfang zwanzig und hörte auf, zu spielen, weil ich schreckliche Chipping Yips hatte. Ich suchte jeden guten Short Game Coach auf, den ich in England finden konnte, in den USA und auf der ganzen Welt. Ich habe jedes Buch gelesen, ich habe jeden Short Game- Kurs gemacht. Ich bin ein extrem guter Short Game-Trainer. Long Drive ist nur ein kleiner Teil meiner Arbeit. Wegen meiner Chipping Yips bin ich ein sehr guter Coach im kurzen Spiel.