1990 wurde Marcel Siem als Zehnjähriger im Golfclub München Eichenried Jugend-Clubmeister. Seine Mutter führte das Clubrestaurant und wenn das Profiturnier stattfand, durfte der junge Marcel manchmal bei Spielern wie Bernhard Langer, Greg Norman und Nick Faldo auf dem Puttinggrün dabei sein, erzählte Siem in dieser Woche. Seit 1989 gibt es die BMW International Open. Es ist eines der traditionsreichsten Turniere der europäischen Tour.
35 Jahre sind seit Siems Jugend-Clubmeistertitel ein Eichenried vergangen. 2000 wurde er Profi, kam 2001 und 2002 über die Qualifying School auf die European Tour und spielt dort seit mehr als 23 Jahren. 23 Jahre, in denen er einige Siege feierte – ein Erfolg bei seinem Heimturnier blieb ihm bis heute jedoch verwehrt. „Normalerweise sage ich das nicht. Aber: Ich möchte hier endlich mal als Sieger vom Platz gehen“, sagte Siem in dieser Woche bei der Pressekonferenz vor dem Turnier und machte damit seine Ambitionen deutlich. Siem will den Heimsieg, er will ihn so sehr.
Das wunderbare Spiel namens Golf ist jedoch unberechenbar und an manchen Tagen gibt es nichts auf Träume, auf Wünsche, auf Hoffnungen und Talente. Und was du kannst und was du kennst, kann in Momenten auf dem Platz unbedeutend sein. Wann es Zeit ist, emporzusteigen, zeigt sich unerwartet, manchmal sehnt man sich vergeblich. Nach 14 gespielten Löchern lag Siem am Donnerstag bei seiner Auftaktrunde drei über Par, und so gar nichts sah in dem Moment nach einem Triumph aus.
Doch so, wie wir in Deutschland einst als Tennisfans bei Boris Becker voller Zuversicht und Vertrauen vor dem Fernseher blieben, wenn er zwei Sätze und ein Break hinten lag, so geht es uns heute mit Marcel Siem. Drei über Par, doch gewinnen kann er das Ding trotzdem, das glauben wir ihm. Denn Siem ist ein Kämpfer, einer der nie aufgibt und einer, der auch aus aussichtsloser Position zurückkommen kann. Und er tut das auf eine Art und Weise, die die Zuschauer anspricht und teilhaben lässt. Siem nimmt die Menschen mit auf seine Reise über den Platz mit all den Emotionen, die dieser Trip mit sich bringt.
Dieses Spiel – das Schöne kommt oft so unerwartet. Die Löcher 15 und 17 spielt Siem Birdie und auf der 18 Eagle, macht auf vier Löchern vier Schläge gut und findet sich in den roten Zahlen wieder. Die Faust – wieder da, Tag 1 vorbei – noch am Leben – und wie!
„Das ist mein Paradies! Ich liebe diesen Sport“, postet Marcel Siem nach der Runde auf Instagram. „Höhen und Tiefen – wie das Leben – immer weiterkämpfen. Glaube an dich und gib niemals auf,“ sagt einer, der schon viel erlebt hat – auf dem Platz, wie im Leben. Und er bedankt sich bei den Zuschauern für den unfassbaren Support, der ihn auf seiner Runde in seinem Heimatclub begleitet hat. Und wir, die wir zuschauen, danken ihm für seine Leidenschaft für das Spiel und all die spannenden Momente – für Bogeys und Birdies – für die Inspiration und die Träume. Niemals aufgeben.
Der Traum geht weiter. Am Freitag glänzt Siem in Runde 2 der BMW International Open mit einer fabelhaften 66er Runde. Die Zuschauer feiern ihn – wieder Eagle auf der 18, ein Zauberschlag mit dem Holz aus dem Rough an die Fahne – „magical“, sagt der Kommentator. Magie à la Marcel Siem, der das Leaderboard zwischenzeitlich bis auf Platz 5 hinaufstürmt und wir gleich mit ihm. Siem leuchtet und reißt uns mit. Ein spannendes, verheißungsvolles Wochenende liegt vor uns. Die Zuschauer werden erneut nach Eichenried herauskommen und ihren Helden anfeuern, der 44-jährig auch nach fast einem Vierteljahrhundert auf der Tour seinen Traum von einem Heimsieg an der Geburtsstätte seiner Karriere weiterträumt. Marcel, wir sind dabei! Bis zum letzten Putt, egal, wie es ausgeht – wir träumen.